Wer ist die Planungswerkstatt?

Wir sind eine Bürgerinitiative, die sich aus BewohnerInnen der Siemensstadt, MitarbeiterInnen hier ansässiger Firmen, Organisationen und Einrichtungen, der Kirche, und hier vertretener Parteien zusammensetzt. Wir bringen unterschiedliche berufliche und soziale Hintergründe mit, decken eine Reihe von Altersgruppen ab und sind uns dennoch in einer Frage einig: Wir möchten erreichen, dass die Lebensbedingungen in Siemensstadt sich im Zuge des Projekts „Siemensstadt 2.0“ verbessern? Wir sind eine Gruppe ohne feste Mitgliedschaft und offen für jeden, der mitarbeiten möchte.

Warum gibt es die Planungswerkstatt?

Nach der Bekanntgabe des Siemens-Konzerns, in Siemensstadt eine sogenannte Smart City zu errichten, hat die Partei DIE LINKE alle Interessierten eingeladen, die Planung für dieses Projekt nicht Konzern und Politik zu überlassen. Seit März 2019 trifft sich die Gruppe, um von den Interessen der hier wohnenden und arbeitenden Menschen ausgehend die Auswirkungen der Entwicklung auf dem Siemens-Gelände zu besprechen und auf die Verantwortlichen mit eigenen Vorschlägen und Forderungen einzuwirken.

Was ist die Siemensstadt 2.0?

Es ist ein Entwicklungsprojekt des Siemens-Konzerns, bei dem auf dem Gelände an der Nonnendammallee und zwischen Rohrdamm und Paulsternstraße ein Technologiezentrum neuer Art entstehen soll. Anders als etwas in Adlershof sollen von Beginn an Forschen (Uni-Institute), Entwickeln und Arbeiten (Siemens und andere Firmen) und Wohnen und Leben unter einen Hut gebracht werden. Siemens will neue Produktionssparten ansiedeln (und bisherige abwickeln), mit Unis und Instituten kooperieren, Start Ups gewinnen, 3000 Wohnungen bauen (lassen) und mit Hotel, Gastronomie und Bildung für Lebensqualität der neuen Bewohner sorgen. Siemens kündigt an, in 10 Jahren ca. 600 Mio. Euro zu investieren, hat aber von der Berliner Politik Unterstützung gefordert. Die bessere Verkehrsanbindung über die alte Trasse der „Siemensbahn“ gehört dazu. Der Senat hat diese Unterstützung zugesagt und z.B. die vorbereitenden Arbeiten für die Aktivierung der alten Siemensbahn schon angeschoben.

Was will die Planungswerkstatt?

Siemensstadt ist ein seit Jahren vernachlässigter Stadtteil, in dem die Uhren in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts stehen geblieben sind. Was damals modern war, ist heute auf Ramsch-Niveau heruntergekommen – wie das Einkaufszentrum am Popitzweg. Trotzdem möchten wir auf vieles nicht verzichten: die eher günstigen Mieten, die großzügig mit viel Grün angelegten Siedlungen, das grüne Band von Siemens- und Jungfernheidepark – um nur einiges zu nennen. Natürlich möchten wir, dass unser Stadtteil aufgefrischt wird, dass neue und andere Arbeitsplätze auch neue und andere Menschen hierherbringen. Wir möchten aber nicht, dass die angestammten Arbeitsplätze verlorengehen, dass die Mieten infolge der veränderten Nachfrage unbezahlbar werden und Verkehr und Beton uns die Lebensqualität nehmen.

Wie arbeiten wir und wie kann man mitarbeiten?

Wir treffen uns bisher etwa vierwöchentlich im Plenum. Spezielle Themen können dann in der Zwischenzeit von Arbeitsgruppen bearbeitet werden. Wir treffen uns zurzeit im Bürgerbüro von Helin Evrim Sommer (DIE LINKE) in der Reisstr. 21 oder im Bürgerbüro von Daniel Buchholz (SPD), Nonnendammallee 80. Informationen, Termine und Dokumente zu unserer Arbeit veröffentlichen wir auf unserer Webseite www.neue-siemensstadt.de. Jeder kann seine Fragen, Wünsche oder Forderungen an uns herantragen – persönlich bei einem unserer Treffen oder per Email: info@neue-siemensstadt.de. Wir sind natürlich auch bei den Info-Veranstaltungen von Siemens, dem Bezirk oder der Parteien ansprechbar. Über regelmäßige Mitarbeit in unserer Runde freuen wir uns sehr.

Was hält die Planungswerkstatt von „Siemensstadt 2.0“?

Die Industrie ist in Siemensstadt von jeher prägend für den Stadtteil gewesen. In den vergangenen Jahren, ja Jahrzehnten, hat diese Industrie aber immer mehr an Bedeutung verloren, viele Arbeitsplätze fielen weg: das Kabelwerk, Osram, die Telefonsparte, der Abbau im Dynamowerk. Wenig Neues kam: Das Entwicklungszentrum für Hausgeräte und riesige Logistik-Hallen von DHL und Mr. Spex – mit wenig Arbeitsplätzen.
Es ist gut, wenn der Abbau der „alten“ Industriearbeitsplätze gestoppt wird und neue, zukunftsträchtige Projekte vorangetrieben werden. Und es ist gut, wenn neue Konzepte erprobt und umgesetzt werden, in denen Forschen, Arbeiten, Wohnen und Leben gemeinsam gedacht und entwickelt werden.
Gleichzeitig wirft das Projekt zahlreiche Fragen auf, die uns besorgt machen. Dabei geht es z.B. um Wohnen, Verkehr, Angebote im sozialen und kulturellen Bereich, um Umwelt und Klima.

Werden die Mieten steigen?

Attraktiv als Wohnort wird Siemensstadt bei einer Umsetzung der Pläne wohl nicht nur für die Beschäftigten der neuen Technologiefirmen auf dem Gelände. Mit der Bebauung der Halbinsel Gartenfeld und der geplanten neuen Nutzung des Flughafens Tegel wird die nah gelegene Siemensstadt wahrscheinlich zunehmend interessanter für Wohnungssuchende – und für Immobilieninvestoren. Nach Angaben der Planer sollen 3.000 Wohnungen gebaut werden, davon 1/3 mit Sozialbindung. Aber schon jetzt steigen die Immobilienpreise, haben Konzerne wie Vonovia große Teile des Wohnungsmarktes im Griff. Wie können wir verhindern, dass die zu erwartende Nachfrage von gut bezahlten Technikern und Ingenieuren gleichzeitig zur Verdrängung der finanziell schlechter gestellten Einwohner führt? Schützt uns der „Mietendeckel“ ausreichend? – Wir wissen die Antwort darauf nicht, erwarten aber, dass sich der Bezirk und der Senat dafür entschieden einsetzt.

Welche Auswirkungen erwarten wir für den Verkehr?

Nicht nur auf dem Siemens-Gelände entstehen neue Wohnungen. Schon bald werden 480 Wohnungen an der Paulsternstraße (auf Haselhorster Seite) zur Vermietung anstehen. 3.000 neue Wohnungen sind auf dem Siemens-Campus geplant, mehr als 3.500 auf der Halbinsel Gartenfeld – das wird in den nächsten Jahren einen Bevölkerungszuwachs von 15.000 Menschen bedeuten. Dazu der Verkehr aus Richtung Wasserstadt: Die jetzt schon stark belastete Nonnendammallee, der Saatwinkler Damm und die Nord-Süd-Verbindungen Rohrdamm/Fürstenbrunner Weg, Paulstern-/Bernauer Straße, Daumstraße und ihre stauanfälligen Kreuzungen erwartet eine Flut neuen Autoverkehrs. Daher soll die Tegeler Brücke neu und breiter gebaut werden, die Kreuzung Saatwinkler Damm/Paulsternstr. ausgebaut und der Saatwinkler Damm verbreitert werden. Das ist unvermeidlich, solange die ÖPNV-Linien keine echten Alternativen darstellen. Denn: Der Ausbau der Nahverkehrslinien und der Radwege gehört zwar zur Entwicklung der Wohngebiete dazu, aber wir kennen die Planungs- und Bauzeiten…

S-Bahn oder/und Straßenbahn? Rad- und Fußwege? Und Autos?

Es ist völlig klar, dass ohne neue, attraktive ÖPNV-Strecken Siemensstadt und Haselhorst in Blech und Gestank ersticken werden. Fest geplant ist davon bisher: Nichts! Am konkretesten ist noch die Wiederbelebung der S-Bahn, aber der Bau einer Straßenbahnlinie bis zur Wasserstadt und die Verbesserung der Busverbindungen, der Bau eines Radschnellweges an der Nonnendammallee das sind Optionen ohne feste Planung.

Wir fordern: Sofortiger Planungsbeginn für die Straßenbahn, Verbesserung der Busverbindungen, Fuß- und Radwege müssen Verbindungen zu den Stadtteilzentren und Bildungseinrichtungen ermöglichen. Weg mit den vielen Zäunen und Grenzen, die uns allseits umgeben.

Was wird aus unserem Grün, wie verändert sich das Stadtklima?

Ja, die Nonnendammallee ist ein Horror für die Anwohner. Dennoch profitiert der Stadtteil von seiner Lage am Rande der Jungfernheide und der Nähe zum Tegeler See. Das „grüne Band“ des Werner-von-Siemens-Parks und des Jungfernheideparks reinigt die Luft und sorgt für die Zufuhr von kühlerer Frischluft im Sommer. Aus dem Norden erreicht uns Frischluft aus Richtung Havel/Tegeler See über das Kleingartengebiet am Saatwinkler Damm und die alte S-Bahn.Trasse. Und von den schlimmen Tagen abgesehen, an denen ein Nordost-Wind uns mit Schwaden von Kerosin-Abgasen des Flughafens überzieht, sind auch dessen große Wiesenflächen klimatisch eher vorteilhaft.

Aber: Welche Auswirkungen wird es haben, wenn ein großer Teil des Kleingartengebietes mit Häusern bebaut wird? Wenn für die Belebung der Siemensbahn der Grünzug beseitigt wird? Wenn für den zusätzlichen Verkehr Straßen verbreitert, Schienentrassen erbaut und Bäume gefällt werden? – Sicher ist nicht nur, dass dies vorher untersucht, sondern auch vermieden werden muss. Ausgleichsmaßnahmen an anderer Stelle sind angesichts der Klimaentwicklung keine Alternative.

Welche Forderungen haben wir an die Planer?

  • Wir fordern von Siemens eine Beschäftigungsperspektive für die heutige Belegschaft. Eine zukunftsorientierte Unternehmenspolitik muss die Mitarbeiter mitnehmen!

  • Wir fordern vom Senat eine zusammenhängende Planung für den gesamten Raum Siemensstadt/Haselhorst/Charlottenburg-Nord/Tegel-Nachfolge. Diese muss die Aspekte Verkehr, Wohnen, Infrastruktur und Klima einschließen.

  • Wir fordern eine realistische Prognose des Autoverkehrs nicht nur im Bereich des Siemens-Campus, sondern im oben genannten übergreifenden Gebiet mit einer Ableitung entsprechender steuernder Maßnahmen.

  • Wir fordern einen sofortigen Planungsbeginn v.a. für den schienengebundenen öffentlichen Nahverkehr. Kein Baubeginn ohne Verkehrskonzept!

  • Wir fordern eine anwohnerfreundliche Planung der Bauarbeiten, die sich über 10 Jahre erstrecken sollen.

  • Wir fordern einen „durchlässigen“ Stadtteil, keine isolierten Wohnquartiere. Zäune müssen fallen, Dämme müssen durchlässig und aus Straßen dürfen keine Barrieren werden.

  • Wir appellieren an Siemens, bei der Planung an die fortschrittlichen und großzügigen architektonischen und stadtplanerischen Überlegungen aus der Gründungszeit der Siemensstadt anzuknüpfen.

  • Wir fordern die Stärkung bzw. Einrichtung natürlicher Zentren der Begegnung.

  • Wir fordern den Aus- bzw. Aufbau von Bildungseinrichtungen und Kitas parallel zum Wohnungsbau.

  • Wir fordern eine Untersuchung der klimatischen Auswirkungen aller im Gesamtgebiet geplanten Bauvorhaben und die Vermeidung stadtklimatischer Nachteile.

  • Wir fordern vom Bezirk Spandau die Verbesserung der sozialen und kulturellen Infrastruktur im Stadtteil.

Wie geht es mit der Siemensstadt weiter?

Siemensstadt heute – das ist die Schneise der Nonnendammallee. Das sind aber auch großzügige Grünanlagen zwischen Meisterleistungen angesehener Architekten.

Siemensstadt – das sind die Kühltürme von Ernst-Reuter und alle 90 Sekunden das Donnern der Jets in Tegel. Das ist aber auch die Jungfernheide, das Freibad und der Tegeler See gleich „um die Ecke“.

Siemensstadt – das ist schon fast Charlottenburg. Aber wie weit entfernt von den Einkaufsmöglichkeiten, der Gastronomie und den Freizeitangeboten dort!

Mit den neuen Bau- und Wohnprojekten rücken Siemensstadt, Haselhorst und Charlottenburg-Nord immer weiter zusammen. Das Tegel-Nachfolgeprojekt schließt sich unmittelbar an. Es ist Zeit, dass für die ganze Region eine neue, anwohnergerechte Perspektive entwickelt wird, die die guten Seiten unserer Stadtteile erhält.